Was wäre … wenn anstelle der Syrer die Roma über die Autobahn in Ungarn marschieren würden? Stellen wir uns vor, die Roma würden sich aus Mazedonien, Serbien und dem Kosovo in Bewegung setzen und einen kilometerlangen Marsch der Armut bilden. Mit ihren Frauen, den vielen Kindern, den großen Familien.
Ich weiß, die Roma kommen in Bussen. Ich weiß, die Roma mögen keine Bilder von sich. Und ich weiß, sie haben keine Führung. Darum geht es nicht. Es geht auch nicht darum, dass die Roma aus keinem Bürgerkriegsland kommen. Schauen wir uns die Bilder aus Ungarn, Wien und München an und denken wir uns, dort würden Roma statt Syrer kommen.
Zweifel sind angebracht, aber es wäre möglich, dass sie aus ihren Zügen steigen würden und mit Klatschen und „Willkommen!“-Rufen begrüßt würden. All die schönen Bilder sind vorstellbar! Im Moment ist Deutschland zu jeder (positiven) Überraschung fähig. Möglich, dass ein solch bildgewaltiger Marsch der Armut die Herzen weich machen würde. Möglich.
Damit es klar ist: Die Roma hätten – nach dieser fiktiven Annahme eines Bürgerkriegs in ihren Ländern – alle einen Asylgrund: Es würde sie nach Rechtslage nichts von den Syrern unterscheiden!
Die Roma hätten aber – und darin liegt der Unterschied! – nichts vorzuweisen außer ihrer Armut und ihrer Not. Sie bilden die Unterschicht ihrer Länder – weitestgehend und seit langem ausgeschlossen von Bildung und Arbeit. Ohne Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit. Ohne Besitz in ihren Ländern und ohne brauchbare Beziehungen in die Nachbarländer.
Im Unterschied dazu – die Syrer.
Sie kommen – nach meinen Beobachtungen und vielen Gesprächen (auf Englisch) – reich beladen mit immateriellen Dingen wie Bildung, Ehrgeiz, Sprachkenntnissen, Jugend und Intelligenz. Es ließe sich sagen, dass sie den Reichtum mitgenommen haben, auf den es in unserer hochentwickelten Gesellschaft ankommt. Sie bringen uns das, was wir gebrauchen können. Sie lassen zurück, was wir nicht gebrauchen können: Ihr Land, ihre Autos, ihre Häuser, ihre Straßen, ihre Wirtschaft – all die materiellen Dinge, die wir im Überfluss haben.
Die Syrer kommen – so ließe sich sagen – mit vollen Händen! Die Roma kämen – unserer Annahme folgend – mit leeren Händen.
Es geht also nicht um das Asylrecht, wenn die Politiker Milliarden „in die Hand nehmen“? Es geht nicht um das Asylrecht, wenn sie die winterfeste Unterbringung zur Staatssache erklären? Wenn sie humanitäre Korridore schaffen, wenn sie die Bürokratie aus dem Weg räumen.
Nicht um das Asylrecht geht es, sondern um eine mutige, entscheidungsfreudige Kosten-Nutzen-Rechnung im Großmaßstab.
Wir sehen eine Politik, die menschlich und eigennützig zugleich ist. Humanitär und merkantil. Die deutsche Regierung geht – wie ein weit vorausschauender Unternehmer – erheblich in Vorkasse. Sie investiert in die Unterbringung und Umschulung der Syrer, um am Ende einen gesellschaftlichen Gewinn – einen vielfach zählbaren Nutzen! – erzielen zu können.
Stellen wir uns vor, statt der Syrer würden Roma kommen …
Bildquelle: Wilhelmine Wulff / www.pixelio.de